Schlachthaus
SYNOPSIS
This is the German translation of Yard, which ran successfully in repertoire at the Maxim Gorki Theatre in Berlin for almost two years.
Please note the reviews are all in their original form, in German, without a translation into English.
First production
September 1999
Maxim Gorki Theater
Berlin, Germany
Director: Martin Kloepfer
Writer: Kaite O'Reilly
Translation: Frank Heibert
Cast: Ulrich Anschütz, Andreas Bisowski, Manfred Meihöfer, Ruth Reinecke
REVIEWS
Berliner Zeitung
Maxim Gorki Theater, Berlin
Ijoma Mangold
September 24, 1999
Der Hackblock ist ein Altar
Deutschsprachige Erstaufführung von "Schlachthaus" im Berliner Gorki-Studio
Würden im Theater Noten für Mitarbeit vergeben, das Maxim Gorki Theater stünde als Musterschüler da. Wo andere Berliner Bühnen ihre Theorieambitionen pflegen oder mit ihrem gesamtgesellschaftlichen Auftrag kokettieren, spielt das Ensemble des Gorki Theaters sein buntes Repertoire mit dem Pathos des totalen Schauspielengagements. Sie sind ganz bei der Sache, nur ist nicht immer klar, ob es die Sache auch wert ist.
Martin Kloepfer hat jetzt mit Kaite O'Reillys Drama "Schlachthaus" auf diese gute Kampfmoral gebaut. Ihm ist es in seinem Regiedebüt (bisher arbeitete er als Regieassistent am Gorki) geglückt, Temperament und Physiognomie seiner Schauspieler für einen über weite Strecken hochamüsanten, mitreißenden und oft sehr anrührenden psychologischen Naturalismus zu nutzen. Jede Figur kann sich als vielschichtiger und mehrdeutiger Charakter darstellen, dabei von unprätentiöser Glaubwürdigkeit und erfrischend unvermittelt.
Was Titel und Szenerie betrifft, scheint "Schlachthaus" ganz Fleisch von jenem Fleische zu sein, das in der so genannten jungen, englischen Dramatik so gerne amputiert, kasteit und massakriert wird. Doch gibt es zwar jede Menge Messer und Beile und einen eindrucksvollen Hackblock, aber der ist eher ein Altar. Kaite O'Reillys "Schlachthaus" ist ein seltsames Konglomerat aus sehr unterschiedlichen Zutaten. Es ist ein fast schon religiöses Mysterienspiel, das von der heiligen Macht vergossenen Blutes, von der Erbsünde und einem unbeirrbar pragmatischen Katholizismus kündet. Es ist ein wenig Sozialromanze, weil es von der Schlachterfamilie Rourke erzählt, die als letzte Mohikaner gleichsam mit blutigem Idealismus gegen die Tötungstechnologie der großen Fleischkonzerne kämpfen. Es ist aber auch eine weitere zerfleischende Schlacht im großen hundertjährigen Ehekrieg, der mit Strindberg begann, bei Edward Albee Ostküsten-Universitäten heimsuchte und nun die Arbeiterklasse erreicht hat. Eine gewisse Plot-Ratlosigkeit gegen Ende ist nicht zu übersehen (auch die ansonsten temporeiche Inszenierung hat da ihre Durchhänger), und doch hat sich die Geschichte schön unmerklich in ein ironisches Melodram verwandelt.
Die Besetzung ist überaus glücklich. Manfred Meihöfer als Bulle Rourke macht schon in seiner schieren Körperlichkeit seinem Namen alle Ehre. Seine Frau wird von Ruth Reinecke als Mischung aus Mutter Courage und heilige Johanna der Schlachthöfe gegeben. Ulrich Anschütz als Onkel Skully tänzelt wunderbar zwischen melancholischem Hochstapler- und verzweifeltem Intrigantentum. Der Held von "Schlachthaus" aber heißt Rory. Mit seinem karierten Hemd und dem roten Pollunder sieht er aus wie ein verhuschter Pfadfinder, dem die umgebundene Schlachterschürze und der Kettenhandschuh drei Nummern zu groß sind. Ausgerechnet er, den man instinktiv eher für Isaak halten würde, soll durch seine Schlachtkunst den Familienbetrieb retten. Andreas Bisowski spielt diesen reinen Toren, und wenn er sich an den Fleischerhaken selbst aufhängt und mit den Füßen nach oben in der Luft zappelt, dann wirkt das bei ihm nicht wie Slapstick, sondern wie das, was in der Welt des freien Falls nun einmal passiert, wenn der Schwerpunkt der Seele aus dem Lot gerät.
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Der Tagesspiegel
September 1999
Schlachthaus von Kaite O´Reilly
Das Hackebeilchen lockt ins Berliner Gorki-Studiotheater
Der Schlachter - er ist ein Dichter. Die Worte, mit denen er seinen Beruf preist, gehen ihm über die fleischigen Lippen wie sprudelndes Blut. "Schlachten", so belehrt der Meister seinen Lehrling, ist nicht nur ein Handwerk, "Schlachten ist eine Wissenschaft", mehr noch: "Schlachten ist eine aussterbende Kunst." Denn ein kunstfertiger Schlachter, wie unser Mann einer ist, hat es mit einem übermächtigen Gegner zu tun: mit den Supermärkten, die sich ihre Massenware von Fleischfabriken anliefern lassen. Bulle Rourke, als Oberhaupt eines Familienbetriebs auf verlorenem Posten, will den Kampf dennoch nicht aufgeben, sondern als letzte Waffe seinen Lehrling Rory an die Front schicken. Ein Sieg des Jungen beim alljährlichen Schlachterwettbewerb wäre die beste Reklame für den Alten. Rory, der blutige Anfänger, hat noch nie etwas anderes gehandhabt als ein Essbesteck, da drückt ihm Meister Rourke zwei lange Messer in die Hände und lässt ihn die Arme hochreißen in einem vorweggenommenen Triumph: V - das steht für Victory.
Einen Sieg errungen hat auch die Autorin des Stücks, das hier im Studio des Berliner Maxim-Gorki-Theaters seine deutschsprachige Erstaufführung erlebt: "Schlachthaus" ("Yard"), im Oktober vorigen Jahres im Londoner Bush Theatre uraufgeführt, brachte Kaite O'Reilly den Peggy Ramsay Award für neue Stücke ein. O'Reilly, irischer Abstammung, aufgewachsen in Birmingham, reiht sich in die Garde junger britischer Dramatiker ein, die ihre Stücke in sozialer Realität grundieren, um sie daraus monströse Blüten treiben zu lassen. Die Tochter eines Schlachters weiß, wovon sie spricht, und sie lässt den Helden ihres Stücks, die Vaterfigur Bulle Rourke, denn auch mit einer Wortgewalt von seiner Sache sprechen, die Handwerksregeln mit den Regeln der Kunst unter einen Hut bringt. Wie man ein Rind, ein Schwein, ein Schaf tranchiert, was "Präzisionstöten" heißt, darüber verbreitet sich Meister Rourke ebenso gern wie über das Leben schlechthin, das naturgemäß ein Schlachten ist, ein Kampf um Leben und Tod - im Beruf wie in Ehe und Familie.
Ein Schlachtraum, hell gekachelt, mit Hackblock, Ausguss, Wasserschlauch, mit Flaschenzug, Abfallbottich, einer Batterie von Messern und einem Kühlschrank, so groß wie eine Abstellkammer: Das Theater bedankt sich bei zwei Fleischereibetrieben für sachgemäße Hilfe bei der Ausstattung seiner Bühne. Ein Waffenarsenal, das, über den Umgang mit dem Schlachtvieh hinaus, auch anderweitig gute Dienste leistet: Mutter Rourke geht ihrer schlechteren Hälfte mit dem Messer an die Gurgel, und der Gatte selbst hängt seinen Bruder, als wär's eine Schweinehälfte, an den Flaschenzug - zur Strafe dafür, dass der faule Hund seinen Liebling, einen dreibeinigen Esel, an den Tierschutzverein verhökert hat. Kann es mit diesem Familienbetrieb ein gutes Ende nehmen? Es ist Rory, der Auszubildende, der in einer Kampfpause zu bedenken gibt, doch einmal vorn im Laden nach eventuell wartenden Kunden auszuschauen ...
Martin Kloepfer, Jahrgang 1971, ausgebildet als Bühnenbildner, feiert mit dieser Inszenierung sein Regiedebüt. Er hat das Schlachtfest temperamentvoll angerichtet, lässt es munter beginnen mit dem überdrehten Optimismus des Meisters und in Trübsal enden mit der Rückkehr des Lehrlings vom Schlachterwettbewerb, im Arm ein sterbendes Lamm. Dazwischen gibt's hier und da kleine Längen, die ein erfahrener Regisseur vermieden hätte: Monologe, mit denen sich die Autorin unnütz anstrengt, den Lebenshintergrund ihrer Figuren zu vertiefen, oder Passagen, die sträwkcür, also rückwärts zu sprechen sind, was jedoch nur der Leser, nicht der Zuschauer begreift. Was Kaite O'Reilly damit beabsichtigt, bleibt ohnehin dunkel - vielleicht einen Anklang an das Gälisch ihrer irischen Provenienz, eine Sprache, so "aussterbend" wie die Kunst der Schlachterei. Was tut's, die Aufführung hat Erfolg trotz dieser Handicaps. Dank nämlich eines Ensembles, das sich tollkühn aufs Schlachtfeld wagt: Manfred Meihöfer macht dem Vornamen seines Bulle Rourke alle Ehre, ein Kraftprotz, der zugleich als Träumer, als zartbesaiteter Poet des Skelettierens, Tranchierens, Filetierens für sich einnimmt, während Andreas Bisowski als Rory dazu die amüsante Kontrastfigur abgibt, ein bebrillter Studiosus, der Fleischeslust allenfalls beim Blick auf Rourkes Tochter Finoulla empfindet. Katja Zinsmeister gibt dieser jungen, infolge einer Vergewaltigung schwangeren Frau einen Ernst, der sie in dieser Familie zu einer Ausnahmeerscheinung macht. Denn um Mutter Breda und Onkel Skully, Ruth Reinecke und Ulrich Anschütz, wird man sich keine Sorgen zu machen brauchen - allen Hackebeilchen zum Trotz sind sie ewige Stehauffrauchen und - männchen auf dem Schlachtfeld des Lebens.
Günther Grack